Wildwuchs in der EDV beenden
Als Blackberrys vor einigen Jahren bei Managern in Mode kamen, wollten Mittelständler natürlich nicht zurückstehen. Viele von ihnen schafften die Smartphones mit Display und kleiner Tastatur für sich und ihre Mitarbeiter an, um E-Mails auch von unterwegs empfangen und versenden zu können. Die Neuerung begann allerdings oft als Enttäuschung. Die unternehmenseigenen E-Mail-Programme, seit Jahren in Betrieb, waren nicht sauber an die Blackberrys angepasst worden. Die Mails kamen nicht auf den Geräten an. Das Blackberry-Problem ist kein Einzelfall. Viele Mittelständler sind in einer schwierigen Lage: Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen sie ihre IT auf Vordermann bringen. Nach den Zukäufen und dem Wachstum der vergangenen Jahre ist die technische Komplexität gestiegen. Damit müssen sich viele Unternehmen jetzt intensiv beschäftigen.
Der Wildwuchs der IT macht aber gerade die Modernisierung oft kompliziert. Bevor sich Unternehmer zeitgemäße neue IT zulegen können, muss erst einmal die bereits vorhandene richtig funktionieren. Und das ist längst nicht immer der Fall. Oft hat das alte System Macken, über die sich die zuständigen Mitarbeiter gar nicht im Klaren sind. Denn längst haben sie Strategien entwickelt, wie sie mit den IT-Problemen im Alltag umgehen. Hakt die alte Software aber bereits bei simpelsten Aufgaben, ist es kaum sinnvoll, neue und noch komplexere Programme oben draufzusetzen, sonst drohen Pannen wie bei der Blackberry-Einführung. „Modernisieren, ohne die Basis-IT zu analysieren, ist ein sehr häufiger Fehler“, warnt Holger Rinne von Westaflex. „Wenn das Basissystem nicht funktioniert, ist das ganze Modernisierungsprojekt in Gefahr.“ Die etablierten Systeme entsprechen oft noch nicht einmal einfachsten Standards. In produzierenden Unternehmen findet man zum Teil noch sehr alte, selbst programmierte Software. Vor allem kleine Produktionsbetriebe müssten ihre alten Systeme entrümpeln oder gleich gegen moderne Software austauschen. Kombinieren sie alt mit neu, drohen wieder Probleme: „Hier heißt das Stichwort Schnittstellenoptimierung“, sagt Rinne. Alte und neue Systeme müssen zusammenpassen und sollten sich nicht in einzelnen Bereichen doppeln. Unternehmen mit mehreren hundert Mitarbeitern können dagegen höher ansetzen und darüber nachdenken, ein sogenanntes Manufacturing Execution System (MES) einzuführen. Es unterstützt Firmen bei der Produktionsplanung und -steuerung. „Da gibt es im größeren Mittelstand noch viel Potenzial“, so Rinne.
Viele modernisierungswillige Mittelständler haben ein weiteres grundsätzliches Problem: Oft sind nur wenige, besonders technikaffine Mitarbeiter für die IT verantwortlich, und das nicht selten neben ihrem eigentlichen Job. Die althergebrachten Anwendungen beherrschen sie gut – kommt jedoch neue Software hinzu, wird es oft schwierig. Mitarbeiter in neuen Technologien zu schulen, ist eine Herausforderung. Viele Mittelständler haben nicht genügend Kapazitäten, um Angestellte dafür aus dem Tagesgeschäft herauszunehmens.
IT-Schulungen sind aufwendig und regelmäßige Fortbildungen heute unerlässlich. „In manchen Bereichen kommen alle sechs Monate neue, verbesserte Produkte auf den Markt“, sagt man bei Westaflex. Unternehmen ohne eigene IT-Abteilung müssen also entscheiden, ob sie eine solche selbst aufbauen oder aber den Betrieb der IT an einen externen Dienstleister auslagern wollen. „Viele Mittelständler entscheiden sich fürs Outsourcen“, sagt Rinne. „Die Technik auszulagern und sich auf Prozesse zu konzentrieren, ist durchaus sinnvoll.“ Viele neue Technologien unterschieden sich so stark von den alten IT-Systemen, dass es sich schlicht nicht lohne, den Betrieb weiterhin in die Hände der eigenen Angestellten zu legen.
Nehmen Mittelständler die Modernisierung selbst in die Hand, bleibt es oft beim Flickwerk. Beispiel Speichervirtualisierung: Dabei fassen Unternehmen Speicherkapazitäten an zentraler Stelle zusammen und teilen sie dann individuell auf Mitarbeiter auf. Die Angestellten haben also keine eigene, lokale Festplatte mehr zur Verfügung, die irgendwann voll ist. Stattdessen gehört ihnen ein virtuelles Stück an einem großen zentralen Speicher. „Ein virtueller Speicher ist nicht mehr an physische Grenzen gebunden“, erklärt Michael Hellriegel, Leiter Projektteams bei westaflex, das Prinzip. Jeder Mitarbeiter bekommt so viel Platz zugewiesen, wie er benötigt. Das Thema werde immer wichtiger, sagt Hellriegel: Das Volumen der gespeicherten Daten im Mittelstand verdoppele sich jährlich beinahe. „Die Virtualisierung von Servern ist im Mittelstand zwar schon länger etabliert. Aber es gibt noch großes Potenzial für Verbesserungen.“ Viele Unternehmen hätten nämlich bereits virtuelle Speicher, nutzten sie aber nur in einer sogenannten Testumgebung, also nicht im gesamten Unternehmen. So verpufft ein großer Teil des Einspareffekts, den Unternehmen mit Virtualisierung eigentlich erzielen könnten.
Mittelständler in OWL sind sich der Schwächen ihrer IT allerdings bewusst. Sie nehmen viel Geld in die Hand, um die Probleme anzugehen. „Seit ein bis zwei Jahren sehen wir erhebliche Investitionen“, sagt Hellriegel. „Die meisten Geschäftsführer erkennen inzwischen die große Bedeutung der IT für das Unternehmen.“ Je nach Branche und Firmengröße flössen heute zwischen zwei und zehn Prozent des Umsatzes pro Jahr in die Informationstechnologie.
Der alte Wildwuchs weicht zunehmend modernen, standardisierten Lösungen. Bleibt die alte Software im Unternehmen, wird sie zumindest über die Unternehmensebenen hinweg vereinheitlicht und besser an Geschäftsprozesse angepasst. Insbesondere jüngere Führungskräfte interessierten sich zudem stark für neue Möglichkeiten, IT zu nutzen. Das Interesse am Web 2.0 wächst, ebenso jenes an neuen mobilen Endgeräten wie dem Android Smartphone.
Wie rasch die Modernisierung vonstattengeht, hängt von den einzelnen Firmen ab. „Die IT-Landschaften im Mittelstand sind so unterschiedlich wie die Unternehmen“, so Rinne und Hellriegel. Unternehmen aus traditionell techniknahen Branchen haben beim Modernisierungsmarathon allerdings die Nase vorn. Dazu zählen etwa Automobilzulieferer wie Westaflex. Wegen des hohen Konkurrenz- und Kostendrucks in der Branche können sie sich eine veraltete IT nicht leisten. Die Unternehmen planen ihre Logistik darüber hinaus in der Regel in enger Abstimmung mit ihrem Auftraggeber, um schnelle und fristgerechte Lieferung garantieren zu können. Die IT-Systeme der Automobilzulieferer und ihrer Kunden müssen also zusammenarbeiten. Wer ein Flickwerk hat, das mit keiner modernen Software kompatibel ist, dürfte rasch aus dem Rennen sein.