SOCIAL MEDIA IN DER INDUSTRIE
Dr. Peter Westerbarkey, bitte beschreiben Sie die ersten Schritte, die Ihr Unternehmen in der Social Media-Welt gegangen ist und geben Sie uns eine Einschätzung, wo Sie heute stehen:
Fast möchte ich sagen, dass wir kindlich neugierig geblieben sind und mit zahlreichen Formaten experimentiert haben. So kommt es auch, dass im Internet und unsere Mitmach 2.0-Umgebung mittlerweile mehr Aktivitäten stattfinden, als im extern-sichtbaren B2B-Umfeld. Wir haben unsere Kunden und Lieferanten in unsere nahtlosen Prozesse eingebunden und fördern bewusst die Medien- kompetenz unser Mitarbeiter.
Ich glaube, dass wir über die letzten fünf Jahre zur Lernenden Organisation geworden sind; hoffe aber auch, dass neben Chromebook und Google Apps-for-business noch einige Kaizen Büro-Werkzeuge – möglichst auf Open Source-Basis – kommen werden.
Wir verdanken Open Source-Projekten sehr viel unserer Flexibilität und haben begonnen, unsere Apps und Enterprise 2.0 Entwicklungen im freien Quellcode zu veröffentlichen.
Wann und wie sind Sie auf das Thema Social Media aufmerksam geworden?
Ich wollte wissen, was meine Kinder an SchülerVZ und mittlerweile Facebook so begeistert, und bin auf großartige Möglichkeiten aufmerksam geworden. Wobei ich sagen muss: was kostenfrei ist, kostet Privatssphäre und Reputa- tion – die digitale Währung unserer Gratiskultur. Daher ist mir die Medienkompetenz (nicht nur in der Schule) so wichtig. Von Social Media Guidelines halte ich gar nichts.
Wie kamen Sie auf die Idee, dass dieses Thema für Ihr Unternehmen interessant sein könnte?
Bei stetig gleicher werdenden Produkten wird „storytelling“ zum Unterscheidungs-Merkmal. Zumal Westaflex immer mehr zum Lösungsanbieter wird und dies jederzeit multime- dial darstellen sollte.
Was haben Ihre Mitarbeiter und Kollegen dazu gesagt, dass Westaflex dem 2.0-Trend folgt? Gab es Widerstände und wie haben Sie diese beseitigt?
Gott-sei-Dank vertritt Westaflex nicht nur zahlreiche Kulturen, sondern auch viele Fähigkeiten. Große Potenziale und etwa die Chat-Ansprache statt E-Mail waren erst durch Web 2.0-Tools möglich! Manch ein Mitarbeiter liest mehr, als das er schreibt – dennoch ermöglichten auch hier „Bilder, die mehr als 1000 Worte sagen“ neue Formen der Zusammenarbeit, des Workflows und Innovation.
Mögliche (un-ausgesprochene) Vorbehalte waren spätestens durch die Optionen der Computer-Telefon-Integration, wie Video-Konferenz oder mobiler Kalender-Abgleich ausgeräumt. Wir haben Android Smartphones, Chrome- books und Tablet PCs standardisiert. Durch die Umstellung auf Open Office können unsere Mitarbeiter unsere Lizenzen im beruflichen und privaten Umfeld nutzen. Um auch private Hardware beruflich einzusetzen, haben wir Flatrate-Hotspots installiert. Zudem gibt es keinerlei Websperren, jedoch eindeutige Empfehlungen bspw. sich auf LinkedIn als unternehmensweite Geschäftsnetzwerk-Plattform zu vernetzen.
Die Nutzung von Social Media zeigt übrigens keinerlei Hierarchie-, Geschlechter- oder altersspezifische Trends.
Auf den ersten Blick scheint die Branche Ihres Unterneh- mens und das Kundenumfeld eher untypisch für Social Media-Aktivitäten zu sein. Was macht es dennoch zu einem modern kommunizierenden Social Media-Nutzer?
In der Tat wundert es mich täglich, dass nicht weitere Unternehmen am Feedback und Dialog mit ihren Kunden und Lieferanten interessiert sind! Ich glaube aber, dass weder Branche noch Nationalität einen Unterschied machen, da Kommunikation eine Grundtugend darstellt – sonst würde es ja nicht dieses Interview geben!
Nehmen wir einmal Urlaubsreisen in die USA, dort wird in jedem Hotel und Freizeitpark auf „visit us on facebook“ verwiesen; manche Trends kommen zeitverzögert nach Europa und Asien – für mich scheint dies auch hier der Fall zu sein. Gerade Interessenten und potenzielle Bauherrn in unserem Fall, orientieren sich zunächst in Foren und ihren sozialen Netzwerken, um Referenzen einzuholen, noch bevor sie überhaupt auf Hochglanz-Firmen-Webseiten surfen.
Was im Übrigen auf die blühenden Erzählungen von Kindern im Jugendalter zutrifft, gilt ebenso in der späteren geschäftlichen Kommunikation: Authentizität verschafft sich Raum und nutzt „ganz natürlich“ die neuen multimedialen Wege.
Wen genau sprechen Sie über Social Media und wie haben Sie diese Zielgruppe(n) vorher angesprochen?
Kennzeichen des 3-stufigen Vertriebsweges über den Fachgroßhandel ist, dass wir unsere Endkunden nicht kennen! Jetzt ist die Frage, ob immer Varianten-reichere und komplexe Systeme überhaupt vom Handel in der Ausstellung vorgehalten und individuell konfiguriert werden (können)?!
Und genau in dieser Pre- und After-Sales-Phase sehen wir die Vorteile der Transparenz durch das Internet und der interaktiven Hilfe durch Apps für mobile Endgeräte. In dem Maße, wie Konfiguration so einfach ist wie bei Lego oder Ikea liegt unsere Chance, Kundenwünsche just-in-time zu fertigen. Gleiches gilt übrigens auch für Ersatzteile und Verbrauchsmaterialien, die durch den Handwerker vor Ort selbst initialisiert (etwa durch Barcode-Scan in unserer Android App) werden können.
Westaflex ist ein international tätiges Unternehmen. Wie wirkt sich dies auf die Social Media-Aktivitäten aus bzw. wie berücksichtigen Sie dies dabei?
Das Internet hat sich von jeher nicht an Verkaufsgebiete oder Re-Importe geschert. Uns ist wichtig, dass Baustellen- Überschuss oder Lagerretouren nicht auf Auktions-Markt- plätzen landen, denn unsere Produkte unterliegen durch ihre bauaufsichtlichen Zulassungen oder etwa durch die Abnahme des Schornsteinfegers einer fallweisen, individuellen Auslegung. Bei aller Web-Transparenz muss klar sein, dass der Hersteller für seine Produkt-Empfehlungen haftet – ein Themenfeld, das nicht immer auf Verständnis stößt. Hier sehe ich auch die Grenzen einer „Selbst-Medikation“ der aufgeklärten Verbraucher.
Interessant ist, dass wir länderübergreifende Produkt-Verbesserungshinweise (eventuell dank Social Media) erhalten, so wie einst durch unsere Second Life-Präsenz.
Unternehmen sind dank Social Media nicht mehr so unnahbar. So gibt es bspw. Bilderdienste in Australien, von denen haben wir in Europa noch nie gehört. Im Austausch mit unseren Landesgesellschaften führt Social Media zur entsprechenden Betreuung multinationaler Kunden.
Wer ist bei Westaflex für die Social Media-Kommunikation verantwortlich und wie werden die unterschiedlichen Plattformen gepflegt?
Dank Meta-Technologien lassen sich gleiche Inhalte auf unzählige Plattformen spiegeln. Diese Art, das „Web-Grund- rauschen“ zu erhöhen, lehnen wir ab. Was gleichzeitig dazu führt, dass manche Kanäle nur periodisch genutzt werden, wie etwa für Barcamps – ebenso wie im Rahmen von Messe-Neuheiten neben der „klassischen PR-Arbeit“ unser Twitter-Kanal glüht.
Ich halte es für wesentlich wichtiger, die richtige Werkzeug- Wahl zu treffen; das Klavier auch in Krisenzeiten spielen zu können. Also: eigene Stelle nein, Zusatz-Kanal ja und dem Medium entsprechend stets spontan. Die Erkenntnis zeigt, dass niemand gezwungen ist uns zu folgen, jedoch jederzeit dazu in der Lage sein sollte.
Unsere Mitarbeiter haben die freie Wahl, in Realnamen oder Alias zu kommunizieren. Wir möchten ermuntern. Angst davor gibt es schon genug, und wir wollen unsere jeweils aktuelle Azubi-Generation anregen ganz natürlich mit den neuen Medien umzugehen.
Ist die Social Media-Strategie mit Kosten verbunden?
Die eigentliche Strategie ist zunächst mit zeitlichem Einsatz verknüpft, zumal gefühlt jede CeBIT neue Highlights mit sich bringt. Durch konsequente Nutzung von Open Source fallen schlimmstenfalls Prototypen-Layout-Kosten an. Viele Aktivitäten, so zum Beispiel im Wissensmanagement, zeigten erst viele Jahre später (kaufmännische) Früchte.
Eine Social Media Invest-Betrachtung ist sinnvoll und hauptsächlich aus unserer Sicht nur langfristig und an gewonnener Erfahrung zu messen.
Wie sieht es mit dem Nutzen aus? Kann ein Unternehmen wie Westaflex sagen, dass sich die Nutzung von Facebook, Twitter und Co. in bare Münze auszahlt?
Für uns sind die neuen bi-direktionalen Kanäle alltäglich geworden. Möglicherweise erreichen wir bestimmte Zielgruppen auch nur noch über sie?!
Würde man dies mit menschlichen Händen vergleichen, so haben wir ein paar Finger mehr für‘s Flötenspiel gewonnen, obwohl es immer noch um die ganz natürliche Kommunika- tion geht.
Was hat sich für Ihr Unternehmen insgesamt mit der Social Media – Nutzung verändert? Haben Sie beispiels- weise Richtlinien definiert?
Tatsächlich sind noch dieselben Menschen an Bord, unsere Werte sind geblieben, die Spielwiesen, sich auszuleben, haben zugenommen. Was gleichzeitig bedeutet, dass klassische PR-Meldungen kontrolliert werden, Social Media jedoch mit eigenen Freiräumen arbeitet.
Gesunden Menschenverstand haben wir nicht durch Externe in Social Media-Guidelines pressen lassen. Da sich Vertrauen durch Heranführung, probieren und gegenseitiges Coaching erlebbar macht.
Social Media ist dann gelungen, wenn es zum Selbstläufer wurde. Und Beispiele zeigen, dass niemand die Materie besser beherrscht als die eigenen Mitarbeiter – eine externe Agentur damit zu beauftragen, erscheint uns fremd. Genau wie die Fach-Expertise in den meisten Fällen in den eigenen Reihen bereits vorliegt.
Wir haben übrigens noch nie Schiffbruch erlitten, sondern durch die helfende Art der Netzbürger zahlreiche Impulse bekommen, die wir allerdings auch beherzigt haben.
Welche Rolle spielt Social Media in Zukunft für ihre Unternehmensstrategie?
Einfache Antwort: es bleibt ein Weg unter vielen zum Kunden. In ihrer spontanen und schnellen Art haben sich neue Disziplinen, wie das Social Monitoring entwickelt.
Gerade unsere Führungskräfte sind in der Erwartungshaltung (auch) hier perfekt zu sein. Ungewöhnlich jedoch ist, das Social Media zunächst aus Zuhören besteht und ein Hierarchie-loses Du pflegt.
Insgesamt gehört Social Media für die Zukunft in vielen Kampagnen dazu und ist manchmal unkalkulierbar.
Was würden Sie einem kleineren Unternehmen raten, das gerade erst beginnt, sich mit dem Thema Social Media zu beschäftigen?
Alles beginnt mit einem offenen Betriebsklima, mit Freiräumen während der Arbeitszeit. Mit der Erkenntnis der Führungskräfte, sich auf neue Arbeitsweisen einzulassen.
Die Belohnung dafür liegt auf der persönlichen und unternehmerischen Waagschale. Es ist nie zu spät, fangen Sie neugierig an! Es geht nichts schief!
Vielen Dank für dieses Gespräch!